RICHARD BOORBERG VERLAG

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24.09.2019

Einkommensteuer

Zur Qualifizierung der Tätigkeit eines Prüfingenieurs

EStG §§ 15, 18

Prüfingenieure, die Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen durchführen, üben eine freiberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 EStG aus.

Der Freiberuflichkeit der Tätigkeit eines Prüfingenieurs steht die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte nicht entgegen, wenn er weiterhin leitend und eigenverantwortlich i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätig ist. An einer eigenverantwortlichen Tätigkeit fehlt es jedoch, wenn angestellte Prüfingenieure eigenständig Hauptuntersuchungen durchführen und dabei lediglich stichprobenartig überwacht werden.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ist auf dem Gebiet der Erstellung von Beweissicherungsgutachten und der Bewertung von Kfz tätig ist. Sie führt Hauptuntersuchungen sowie Abgasuntersuchungen durch und erbringt weitere Prüftätigkeiten. Ihre Gesellschafter waren selbst Prüfingenieure. Den überwiegenden Teil der im Streitjahr 2009 durchgeführten Haupt- und Abgasuntersuchungen hatten allerdings die drei bei der Klägerin angestellten Prüfingenieure übernommen. Das Finanzamt war der Meinung, die Klägerin erziele gewerbliche Einkünfte, und setzte dementsprechend auch Gewerbesteuer fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Entscheidung des BFH

Die Revision der Klägerin war unbegründet. Der BFH hat zwar die Tätigkeit der Gesellschafter der Klägerin als freiberuflich beurteilt, soweit sie selbst Hauptuntersuchungen durchgeführt hatten. Soweit die Klägerin den überwiegenden Teil der Prüftätigkeiten durch angestellte Prüfingenieure hat durchführen lassen, fehlt es jedoch an einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gesellschafter. Die angestellten Prüfingenieure haben die Hauptuntersuchungen eigenständig durchgeführt und sind dabei lediglich stichprobenartig von den Gesellschaftern der Klägerin überwacht worden. Die Klägerin erzielt daher insgesamt gewerbliche Einkünfte (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG).

Eine gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG unschädliche Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte setzt auch für technische Berufe wie den des Ingenieurs voraus, dass die Leistung als solche des Berufsträgers erkennbar und ihm damit persönlich zurechenbar ist. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ermächtigt weder dazu, Routineaufgaben vollständig auf einen angestellten Berufsträger zu delegieren, noch dem Berufsträger eine Tätigkeit als eigene zuzurechnen, die tatsächlich ein anderer, angestellter Berufsträger eigenständig ausführt und zu verantworten hat. Dies gilt auch für Prüfingenieure, obwohl deren Tätigkeit weitgehend gesetzlich geregelt ist und daher umfassende Kontrollmaßnahmen ebenso ausgeschlossen sind wie die Festlegung von Untersuchungsmethoden oder -inhalten.

Praxishinweis

Prüfingenieure, die Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen durchführen, erzielen Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Voraussetzung ist allerdings, dass sie insoweit leitend und eigenverantwortlich tätig werden. Auch bei Berufsgruppen, in denen der das Berufsbild prägende „persönliche, individuelle Dienst“ am Auftraggeber in den Hintergrund tritt (vgl. zum Arzt für Laboratoriumsmedizin: BFH, Urteil vom 21.3.1995, XI R 85/93, BStBl II 1995 S. 732, BFHE 177 S. 377) bzw. in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen, in denen infolge des technischen Fortschritts der Anteil der „individuell freiberuflichen“ Arbeitsleistung kleiner (geworden) ist, kann nicht auf das Erfordernis der persönlichen Teilnahme an der praktischen Arbeit verzichtet werden. Daher muss auch bei diesen Berufsgruppen die fehlende Mitarbeit am einzelnen Auftrag auf Ausnahmen und vereinzelte Routinefälle beschränkt bleiben. Dementsprechend ist ein selbständig tätiger Ingenieur nur eigenverantwortlich tätig, wenn die Ausführung jedes einzelnen Auftrags ihm selbst und nicht dem qualifizierten Mitarbeiter, den Hilfskräften oder dem Unternehmen als Ganzem zuzurechnen bzw. als seine erkennbar ist.

Eine Personengesellschaft, die entsprechende Prüftätigkeiten erbringt, übt eine freiberufliche Tätigkeit aus, wenn sämtliche Gesellschafter Prüfingenieure sind und als solche auch tätig werden. Sind die Gesellschafter einer Personengesellschaft zwar Prüfingenieure, lässt die Gesellschaft jedoch den überwiegenden Teil der Prüftätigkeiten durch angestellte Prüfingenieure durchführen und werden sie dabei nur stichprobenartig von den Gesellschaftern überwacht, fehlt es an einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gesellschafter.

Prof. Dr. Jachmann-Michel, Vorsitzende Richterin am BFH
Quelle:
BFH, Urteil vom 4.5.2019, VIII R 35/16, DB 2019 S. 1882