Für beiderseits berufstätige Ehegatten, die mit ihren Kindern am Beschäftigungsort in einer familiengerechten Wohnung leben, ist der Mittelpunkt der Lebensinteressen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu bestimmen. Danach gilt die Vermutung, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen unter diesen Umständen in der Regel an den Beschäftigungsort verlagert, auch wenn die frühere Familienwohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird. Der Steuerpflichtige kann Umstände des Einzelfalls darlegen, die entgegen der Regelvermutung auf Grundlage der erforderlichen Gesamtwürdigung für einen Lebensmittelpunkt außerhalb des Beschäftigungsorts sprechen.
Sachverhalt
Der Kläger war beruflich zunächst als Unfallchirurg im Krankenhaus in B im Bundesland A tätig. Zwecks einer beruflichen Neuorientierung nach Schließung der Abteilung im Krankenhaus erwarb der Kläger im Mai 2003 seine in den Streitjahren betriebene Praxis in C. Die Ehefrau des Klägers war bis zum 31.7.2003 in einer Klinik in A als Arztsekretärin und MTA tätig. Da sich in der Praxis des Klägers Bedarf ergab und der Verbleib ihrer Anstellung in A unsicher war, wechselte sie ab dem 1.8.2003 als Angestellte in die Praxis. Mit der Ehefrau zogen auch die beiden Kinder nach C, um dort ab dem Schuljahresanfang 2003 die Schule zu besuchen. Der Kläger bewohnte mit seiner Familie ab dem 1.10.2003 eine angemietete 4-Zimmer-Wohnung mit Balkon nebst separatem Büro in D. Die Wohnung umfasste eine Fläche von 130 qm und verteilte sich auf einen großen Raum mit Wohnzimmer, Esszimmer und Küche, des Weiteren ein Schlafzimmer, zwei Kinderzimmer sowie ein Bad und eine Waschküche im zweiten Obergeschoss, das zugleich das Dachgeschoss bildete. Daneben stand dem Kläger im Gebäude ein Büro mit einer Fläche von 30 qm zur Verfügung. Zudem gehörte eine Doppelgarage zur gemieteten Wohnung. Des Weiteren verfügte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau über ein Einfamilienhaus in A. Die nutzbare Wohnfläche des Hauses betrug 192 qm, dazu kamen eine Terrasse mit 40 qm und ein Garten mit 400 qm. Für alle Familienmitglieder wurde im Melderegister als Hauptwohnung seit 19.12.1996 durchgehend die Adresse in A angegeben; die Adresse in D wurde als Nebenwohnung bezeichnet. In den Streitjahren fanden nachhaltig Aufenthalte des Klägers und der Familienmitglieder in A statt. Das Finanzamt lehnte die Berücksichtigung von Betriebsausgaben für eine doppelte Haushaltsführung ab. Einspruch und Klage waren erfolglos.
Entscheidung des BFH
Auch die Revision war unbegründet. Das FG ist zwar unzutreffend von einer unwiderleglichen Vermutung des Lebensmittelpunkts des Klägers am Beschäftigungsort ausgegangen. Es hat unzutreffend aus grundsätzlichen Erwägungen darauf geschlossen, dass Ehegatten, die beide gemeinsam mit ihren schulpflichtigen Kindern am Beschäftigungsort in einer familiengerechten Wohnung leben, „zwangsläufig“ einen Lebensmittelpunkt am Beschäftigungsort haben. Ob eine außerhalb des Beschäftigungsortes belegene Wohnung als Mittelpunkt der Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb den (Haupt-)Hausstand darstellt, ist nach ständiger Rechtsprechung anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dies gilt auch, wenn der Lebensmittelpunkt beiderseits berufstätiger Ehegatten zu bestimmen ist, die während der Woche und damit den weitaus überwiegenden Teil des Jahres am Beschäftigungsort zusammenleben. Denn dieser Umstand allein rechtfertigt es nicht, dort den Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen und seiner Hauptbezugsperson zu verorten. Allerdings hat die Rechtsprechung für die Gesamtwürdigung insofern eine Vermutung formuliert, nach der sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen „in der Regel“ an den Beschäftigungsort verlagert, wenn der Arbeitnehmer dort mit seinem Ehepartner in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Familienwohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird. Im Streitfall war aber die (hilfsweise vorgenommene) Gesamtwürdigung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und trägt dessen Entscheidung, dass sich der Lebensmittelpunkt des Klägers in D befunden hat. Insbesondere hat das FG die Wohnung in D und das Haus in A jeweils für ein familiengerechtes Wohnen als geeignet sowie als gleichwertig ausgestattet eingestuft und in der Lage und Ausstattung des Einfamilienhauses in A keinen Umstand gesehen, der entscheidend für einen dortigen Lebensmittelpunkt des Klägers spricht. Gleiches gilt für die vom FG in den Blick genommenen Freizeitmöglichkeiten an beiden Orten. Das FG hat ferner die Dauer der Aufenthalte des Klägers und der Familie am Beschäftigungsort und die Zahl der Heimfahrten in seine Würdigung einbezogen. Weiter hat es die sozialen Beziehungen des Klägers am Beschäftigungsort und in A betrachtet. Dabei hat es für maßgeblich gehalten, dass die Kernfamilie des Klägers aus Ehefrau und den gemeinsamen Kindern die meiste Zeit in D verbracht hat, und demgegenüber der in A bestehenden Beziehung und Nachbarschaft zum Bruder des Klägers ein geringeres Gewicht beigemessen. Auch die vom Kläger unbestritten vorgetragene geringere soziale Verankerung in D und die in A vorhandenen Vereinszugehörigkeiten, sozialen Aktivitäten und fortbestehenden Geschäftsbeziehungen hat das FG gesehen, aber nicht als Umstände beurteilt, die gegenüber dem Umstand des gemeinsamen Alltags und Wohnens der Familie des Klägers in D so durchgreifend sind, dass abweichend von der Regelvermutung ein Lebensmittelpunkt des Klägers in A anzunehmen ist.
Praxishinweis
Der Abzug von Mehraufwendungen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung (§§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 a.F. bzw. Nr. 6a n.F., 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5) setzt voraus, dass der Steuerpflichtige außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dieser Mittelpunkt der Lebensinteressen ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls.