RICHARD BOORBERG VERLAG

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16.05.2019

Einkommensteuer

Tätigkeit eines Heileurythmisten als ähnlicher Beruf i. S. von § 18 Abs. 1 Satz 2 EStG

EStG §§ 15, 18

1. Der Abschluss eines Integrierten Versorgungsvertrags nach §§ 140a ff. SGB V (sog. IV-Verträge) zwischen dem Berufsverband der Heileurythmisten und einer gesetzlichen Krankenkasse stellt ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Ausbildung und Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar.

2. Eine weitergehende Prüfung der Vergleichbarkeit der Ausbildung und Tätigkeit des Heileurythmisten mit der eines Krankengymnasten/Physiotherapeuten ist aufgrund der indiziellen Wirkung der Teilnahmeberechtigung an den Leistungen der sog. IV-Verträge nicht erforderlich.

Sachverhalt

Die Klägerin ist Mitglied des Berufsverbands Heileurythmie e. V., wofür sie ein Abschlusszeugnis für Heileurythmie und eine entsprechende Berufsqualifikation erworben hatte. Weder sie noch ihr Berufsverband wurden nach § 124 Abs. 2 SGB V von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen zugelassen. Anfang 2006 schlossen jedoch zwölf gesetzliche Krankenkassen mit den Berufsverbänden der anthroposophischen Heilkunst – u. a. mit dem der Klägerin – Verträge zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (sog. IV-Verträge), wonach die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für ärztlich verordnete und durch anerkannte Therapeuten erbrachte Leistungen der Heileurythmie als Heilmittel innerhalb der gesetzlich anerkannten besonderen Therapierichtung der Anthroposophischen Medizin nach den vertraglich vereinbarten Gebührensätzen übernahmen. Nach den IV-Verträgen gehört die Heileurythmie zu den Versorgungsinhalten der anthroposophischen Medizin, die nicht-ärztlichen Therapieverfahren wurden auf ärztliche Anordnung durch speziell ausgebildete Therapeuten als Heilmittel erbracht. Die Ausbildung und Eignung des Therapeuten mussten durch den Berufsverband überprüft und anerkannt worden sein. Die spezielle Ausbildung wurde angenommen, wenn der Heilmittelerbringer eine durch den Berufsverband ausgestellte Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung oder eine Gleichwertigkeitsbescheinigung nachweisen konnte. Die Teilnahmeberechtigung wurde von dem Berufsverband erteilt, wenn die in den IV-Verträgen genannten Voraussetzungen nachgewiesen und die Regelungen der IV-Verträge anerkannt wurden. Laut der Anlage 4 zu den IV-Verträgen sind Grundlage der Vereinbarung §§ 124 ff. SGB V in analoger Anwendung. 2009 bescheinigte der Berufsverband der Klägerin, dass sie an den Verträgen zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff. SGB V teilnehmen konnte, so dass sie berechtigt war, Leistungen nach den IV-Verträgen zu erbringen. Das FA erachtete die Klägerin als gewerbesteuerpflichtig, das FG wies ihre Klage ab.

Entscheidung des BFH

Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Stattgabe der Klage. Die Tätigkeit der Klägerin ist gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG als freiberuflich zu qualifizieren. Die Klägerin übt als Heileurythmistin eine dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnliche Tätigkeit aus. Der Abschluss der IV-Verträge ist ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Katalogberuf des Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Tätigkeit. Die Heileurythmie gehört zu den Versorgungsinhalten der anthroposophischen Medizin, so dass sie unter den Begriff der Heilkunst fällt. Sie steht als medizinische Hilfsleistung, die im vorliegenden Fall auf Anordnung und unter der Verantwortung eines Arztes gewährt wird, auf einer Stufe mit Leistungen anderer Heilhilfsberufe.

Praxishinweis

Ein ähnlicher Beruf liegt vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe nach Ausbildung und ausgeübter beruflicher Tätigkeit vergleichbar ist. Die für den vergleichbaren Katalogberuf erforderlichen Kenntnisse müssen nachgewiesen sein, die so qualifizierte Arbeit muss den wesentlichen Teil der gesamten Berufstätigkeit ausmachen und dem ähnlichen Beruf das Gepräge i. S. des Katalogberufs geben. Auch eine Berufstätigkeit, die sich auf einzelne heilkundliche Verrichtungen beschränkt, ohne einer staatlichen Erlaubnis zu bedürfen, kann dem Katalogberuf eines Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlich sein. In diesem Fall reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige über die Erlaubnis seiner beruflichen Organisation verfügt, die Kenntnisse bescheinigt, die den Anforderungen einer staatlichen Prüfung für die Ausübung der Heilhilfsberufe vergleichbar sind. Hiermit ist sowohl dem Erfordernis einer vergleichbaren Ausbildung wie auch dem einer Erlaubnis Genüge getan. Es reicht aus, wenn die Berufsbezeichnung beispielsweise durch ein Wettbewerbs- oder Namensrecht geschützt ist. In Anbetracht dessen hat es der BFH als ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer dem Krankengymnasten/Physiotherapeuten ähnlichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG angesehen, wenn der Steuerpflichtige bzw. seine Berufsgruppe regelmäßig nach § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen ist. Dies folgt daraus, dass auch § 124 Abs. 2 SGB V dem Ziel dient, eine fachgerechte Berufsausübung zu gewährleisten.

Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel
Quelle:
BFH, Urteil vom 21.11.2018, VI R 28/16, BFH/NV 2019 S. 265