RICHARD BOORBERG VERLAG

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09.03.2020

Einkommensteuer

Anwachsung von Gesellschaftsanteilen an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft wegen des Ausscheidens eines Gesellschafters gegen Abfindung

EStG § 23

1. Einkünfte, an denen i.S. von § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO Mehrere beteiligt sind, liegen unter weiteren Voraussetzungen nur dann vor, wenn mehrere Personen „gemeinsam“ den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklichen.

2. Gesellschafter einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft erfüllen den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nur dann „gemeinsam“, wenn die den Tatbestand des „privaten Veräußerungsgeschäfts“ konstituierenden Teilakte – die „Anschaffung“ und die „Veräußerung“ – jeweils in der „Einheit der Gesellschaft“ verwirklicht werden.

3. Scheidet ein Gesellschafter aus einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft gegen Zahlung einer Abfindung aus und wächst sein Anteil den verbleibenden Gesellschaftern nach § 738 Abs. 1 BGB an, wird dieser Anwachsungserwerb durch die verbleibenden Gesellschafter jeweils einzeln und nicht in der Einheit der Gesellschaft verwirklicht

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GbR in Liquidation; ihr Zweck ist die Verwaltung und Vermietung von Grundbesitz. Laut Gesellschaftsvertrag sollte für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters sein Gesellschaftsanteil den verbleibenden Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftsergebnis zuwachsen, es sei denn, dass die Gesellschafterversammlung unter Ausschluss des ausscheidenden Gesellschafters einstimmig etwas Abweichendes beschließt. Dem Ausscheidenden war eine Abfindung zu zahlen. Der Gesellschafter B schied zum 24.7.2006 aus und es wurde eine Abfindung gezahlt. Sein Gesellschaftsanteil von 25 v.H. wuchs den verbliebenen Gesellschaftern C, D, F und G an.

C, D, F und G, handelnd als alleinige Gesellschafter der Klägerin, veräußerten am 13.7.2007 die im Gesamthandsvermögen der GbR verbliebene Immobilie. Sie beschlossen, die Klägerin wegen Zweckerreichung aufzulösen. Das Finanzamt vertrat die Rechtsauffassung, dass nach dem Ausscheiden des B die verbliebenen Gesellschafter dessen Gesellschaftsanteil von 25 v.H. – und damit auch einen Bruchteil des gesamthänderisch gebundenen Immobilienvermögens – entgeltlich i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG „angeschafft“ hätten. Durch die Veräußerung der Immobilie seien Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft erzielt worden. Das Finanzamt erließ einen geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, in dem zusätzlich Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 EStG festgestellt und auf die Feststellungsbeteiligten verteilt wurden. Einspruch und Klage waren ohne Erfolg.

Entscheidung des BFH

Die Revision führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage. Die Vorentscheidung verletzt §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO. Eine gesonderte und einheitliche Feststellung und Zurechnung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften ist danach in Fällen, in denen die Anschaffung oder Veräußerung einer Gesellschaftsbeteiligung als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter gilt (§ 23 Abs. 1 Satz 4 EStG), regelmäßig nicht zulässig, weil der rechtliche Vorgang, welcher nur über die Fiktions- oder Zurechnungsnorm zur Annahme eines „Anschaffungs-“ oder „Veräußerungsgeschäfts“ führt, nicht gemeinsam und in der Einheit der Gesellschaft, sondern individuell durch den Gesellschafter verwirklicht wird. Durch das Ausscheiden von B ist sein Anteil den verbleibenden Gesellschaftern C, D, F und G angewachsen. Sie haben den – durch die (gesetzliche) Rechtsfolge des § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgelösten – Anwachsungserwerb jeweils einzeln und nicht in der Einheit der Gesellschaft verwirklicht.

Praxishinweis

Veräußert eine grundstücksbesitzende (vermögensverwaltende) GbR eine in ihrem Gesamthandsvermögen befindliche Immobilie, ist über die Frage, ob durch das Veräußerungsgeschäft ein Einkünftetatbestand verwirklicht worden ist, nur dann im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung zu entscheiden, wenn die Tatbestandsmerkmale der maßgeblichen Norm gemeinsam in der Einheit der Gesellschaft verwirklicht werden.

Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, Vorsitzende Richterin am BFH
Quelle:
BFH, Urteil vom 19.11.2019, IX R 24/18, DStR 2020 S. 386