Höhere deutsche Altersrente aufgrund von Kindererziehungszeiten in Österreich möglich
Die Klägerin begehrt eine höhere Regelaltersrente unter Anrechnung von in Österreich zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung. Sie war bis 1972 in Deutschland beschäftigt und lebte von August 1975 bis November 1979 mit ihrem Ehemann und den in den Jahren 1970, 1975 und 1977 geborenen Kindern in Österreich. Sie widmete sich während des Aufenthalts in Österreich ausschließlich der Kindererziehung. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland war sie selbstständig tätig, ohne hierfür Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten. Für einen Monat zahlte sie einen freiwilligen Beitrag, um die Wartezeit für die Regelaltersrente zu erfüllen.
Der österreichische Rentenversicherungsträger stellte bei der Klägerin 52 Monate Kindererziehungszeiten fest und lehnte unter Verweis auf die nichterfüllte Mindestversicherungszeit (180 Monate) eine Rentenzahlung ab. Der deutsche RV-Träger bewilligte der Klägerin eine Regelaltersrente ohne Anrechnung der in Österreich geleisteten Erziehung für die beiden letztgeborenen Kinder.
Das SG hat den deutschen RV-Träger zur Zahlung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten (im Zeitraum von August 1975 bis November 1979) verpflichtet. Das LSG hat die Klage abgewiesen. Die Erziehung in Österreich könne einer inländischen Erziehung nicht gleichgestellt werden. Das Recht auf Unionsbürgerfreizügigkeit gebiete keine Anerkennung der streitbefangenen Zeiten. Denn es fehle an einer “Umrahmung“ der Kindererziehungszeiten durch inländische Versicherungszeiten.
Die Revision der Klägerin beim BSG war erfolgreich. Zu Unrecht hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf höhere Regelaltersrente unter Anerkennung von weiteren Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für ihre beiden jüngeren Kinder von August 1975 bis November 1979 verneint. Die Verpflichtung der Beklagten, den Zeitraum der Kindererziehung in Österreich nach nationalem Recht zu berücksichtigen, als wäre die Kindererziehung im Bundesgebiet erfolgt, ergibt sich aus einer erweiternden europarechtskonformen Auslegung des § 56 SGB VI.
Eine Verpflichtung der Beklagten, die in Österreich von der Klägerin zurückgelegten Kindererziehungszeiten bei der Regelaltersrente zu berücksichtigen, folgt zwar nicht aus Artikel 44 Absatz 2 Verordnung (EG) Nummer 987/2009. Die Klägerin erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht, weil sie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für die betreffenden Kinder nach nationalem Recht begann, in Deutschland weder eine Beschäftigung noch eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hatte.
Zur Wahrung der Unionsbürgerfreizügigkeit nach Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der rentenzahlungspflichtige Mitgliedstaat in dem Fall, in dem die betroffene Person ausschließlich in diesem Mitgliedstaat Versicherungszeiten im Sinne des Artikel 1 Buchstabe t Verordnung (EG) Nummer 883/2004 erworben hat, und zwar sowohl vor als auch nach der Verlegung ihres Wohnsitzes in den anderen Mitgliedstaat, in dem sie Kindererziehungszeiten zurückgelegt hat, dazu verpflichtet, diese Zeiten bei der Altersrente zu berücksichtigen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin war vor ihrem Umzug nach Österreich in Deutschland beitragspflichtig beschäftigt und entrichtete nach ihrer Rückkehr einen freiwilligen Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. In Österreich hatte sie sich ausschließlich der Kindererziehung gewidmet.
Der rentenwertsteigernden Berücksichtigung der in Österreich zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung bei der deutschen Regelaltersrente steht nicht entgegen, dass der österreichische Rentenversicherungsträger diese Zeiten als Versicherungszeiten grundsätzlich anerkannt hat. Denn Deutschland ist der einzige zur Zahlung einer Altersrente an die Klägerin verpflichtete Mitgliedstaat.
Im Fall einer Nichtberücksichtigung der in Österreich zurückgelegten Zeiten der Kindererziehung bei der deutschen Regelaltersrente würde die Klägerin benachteiligt, weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit in der Europäischen Union Gebrauch gemacht hat. Dies wäre aber ein Verstoß gegen die Unionsbürgerfreizügigkeit in der Auslegung, die diese Grundfreiheit durch den Europäischen Gerichtshof erhalten hat.
BSG, Urteil vom 27.3.2025, B 5 R 16/23 R