RICHARD BOORBERG VERLAG

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03.06.2024

Muss Lagerungsmatratze zum Behinderungsausgleich finanziert werden?

Gesundheitskasse stellt deren medizinischen Nutzen infrage

Solange das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses noch nicht über den Einsatz jedes in der gesetzlichen Krankenversicherung neu einzusetzenden Hilfsmittels entschieden hat, bleibt die Sperrwirkung des Methodenbewertungsvorbehalts nach § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V in Kraft. Daher kann die Lagerungsmatratze derzeit nicht von der Klägerin bei der Gesundheitskasse als Hilfsmittel beansprucht werden.

Die 2007 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin erkrankte im Säuglingsalter an einer schweren BNS-Epilepsie, in deren Folge sich schwerste komplexe Behinderungen entwickelten. Sie leidet infolgedessen an einer frühkindlichen Hirnschädigung. Aufgrund dessen fehle die Möglichkeit aktiver Fortbewegung und Kommunikation. Verbunden damit sind Schlafstörungen.

Den 2015 gestellten Antrag auf Versorgung mit einer Lagerungsmatratze, die die Eigenbewegung des Kindes durch Mikrostimulation unterstützen und dadurch die Schlafqualität fördern soll, lehnte die beklagte Gesundheitskasse ab.

Das SG verurteilte die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Versorgung mit der begehrten Matratze und stellte die Bestimmung eines Eigenanteils in deren Belieben.

Das LSG hat die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen: Es fehle an einem ausreichenden Nachweis des medizinischen Nutzens der Matratze.

 

Das BSG stellte fest: die Revision der Klägerin war unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit der Lagerungsmatratze hat. Derzeit steht dem die Sperrwirkung des Methodenbewertungsvorbehalts nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V entgegen.

Hiernach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag Empfehlungen abgegeben hat über unter anderem die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Soweit hierzu Feststellungen zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu treffen sind, obliegen diese ausschließlich dem Gemeinsamen Bundesausschuss und weder dem verordnenden Arzt noch der in Anspruch genommenen Krankenkasse, wenn sie in medizinischer Hinsicht wesentliche, bisher nicht geprüfte Neuerungen betreffen.

Stellen sich dementsprechend Fragen zur Erforderlichkeit einer Methodenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ernstlich, entfaltet die Regelung des § 135 Absatz 1 SGB V vorwirkende Sperrwirkungen im Hinblick auf jedes in der gesetzlichen Krankenversicherung neu einzusetzende Hilfsmittel, solange das dazu berufene Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses noch nicht entschieden hat, ob dessen Einsatz einer Bewertung zu unterziehen ist.

Hiernach kann die streitbefangene Lagerungsmatratze derzeit nicht beansprucht werden. Die Matratze zielt nach Funktionalität und Zwecksetzung nicht auf den Ausgleich einer ausgefallenen Körperfunktion, sondern auf eine veränderte Körperwahrnehmung und eine dadurch geminderte Muskelspannung der Klägerin während der Schlafenszeit, um mangels anderer verfügbarer therapeutischer Ansätze jedenfalls so ihre Schlafbeschwerden durch Einwirkung auf menschliche physiologische Funktionen zu lindern.

Ob es eines gesonderten Bewertungsverfahrens zu der Frage dieses medizinischen Nutzens der Lagerungsmatratze bedarf, kann nach dem Schutzzweck der Regelung nur von dem dafür zuständigen Gremium des Gemeinsamen Bundesausschusses selbst beurteilt werden.

BSG, Urteil vom 18.4.2024, B 3 KR 17/22 R

Quelle:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/ DE/2024/2024_04_18_B_03_KR_17_22_R.html