RICHARD BOORBERG VERLAG

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23.10.2023

Jobcenter unterließ Belehrung über elektronische Form des Widerspruchs

Unvollständige Belehrung im Bescheid – daher galt die Jahresfrist

Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig.

Im Streit ist insbesondere die fristgerechte Erhebung eines Widerspruchs gegen einen die Bewilligung von Alg II beziehungsweise Sozialgeld teilweise aufhebenden Bescheid sowie die Erstattung von insgesamt 1690,92 Euro.

Das beklagte Jobcenter bewilligte dem Kläger Alg II beziehungsweise Sozialgeld. Nachdem der Kläger eine Arbeit aufgenommen hatte, hob das Jobcenter den ursprünglichen Bewilligungsbescheid teilweise auf und forderte überzahlte Leistungen zurück. Die Rechtsmittelbelehrung dieser Bescheide verwies auf die Möglichkeit, dagegen schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch einzulegen. Die erhobenen Widersprüche verwarf der Beklagte wegen Verfristung als unzulässig.

Die dagegen erhobenen Klagen waren in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg. Die angegriffenen Bescheide seien bestandskräftig. Die Widersprüche seien unzulässig gewesen, weil sie nicht fristgerecht binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Bescheide erhoben worden seien.

Das BSG entschied: Die Revisionen der Kläger waren im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Das LSG ist zu Unrecht von der Unzulässigkeit des Widerspruchs wegen Verfristung ausgegangen. Die Prüfung, ob der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid inhaltlich rechtmäßig war, war dem Senat aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen des LSG in der Sache aber nicht möglich.

Die Kläger haben gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 08.02 2018 zwar erst am 27.12.2018 Widerspruch eingelegt. Doch war dieser in jedem Fall fristgerecht, weil er binnen der im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Frist von einem Jahr nach Bekanntgabe des Bescheids, die jedenfalls nach dem 08.02.2018 erfolgt sein muss, erhoben worden ist.

Nach § 84 Absatz 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 SGB I oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Widerspruchsfrist beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig (§ 66 Absatz 2 Satz 1 SGG).

Zu den Mindestinhalten einer Rechtsbehelfsbelehrung zählt über den Wortlaut des § 66 Absatz 1 SGG hinaus nach Sinn und Zweck der Regelung auch eine Belehrung über die bei Einlegung eines Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften, wie es der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entspricht.

Über die Möglichkeit, Widerspruch auch in elektronischer Form einlegen zu können, hat das beklagte Jobcenter nicht belehrt. § 84 Absatz 1 SGG führt aber die elektronische Form des Rechtsbehelfs als eigenständige Form neben der Schriftform und der Einlegung zur Niederschrift auf. Die Belehrung im Bescheid vom 08.02.2018 war daher unvollständig, so dass die Jahresfrist galt.

 

BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 7 AS 10/22 R

Quelle:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/ 2023/2023_09_27_B_07_AS_10_22_R.html