RICHARD BOORBERG VERLAG

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12.02.2024

Behinderungsausgleich durch videogestützte Türöffnungsanlage

Pflegeversicherung lehnte Bezuschussung dieser Anlage ab

Eine videogestützte Türöffnungsanlage ist keine von der Pflegeversicherung zu bezuschussende Maßnahme der Wohnumfeldverbesserung, sondern ein der Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung zuzurechnendes Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich.

Der 1958 geborene Kläger leidet an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas mit einer erheblichen Einschränkung der Gehfähigkeit, sowie einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit.

2018 war die beklagte private Krankenversicherung verurteilt worden, einen Zuschuss für den Einbau eines Treppenlifts als wohnumfeldverbessernde Maßnahme zu zahlen.

Über den Ende 2018 gestellten Antrag auf Bezuschussung einer videogestützten Türöffnungsanlage als weitere wohnumfeldverbessernde Maßnahme entschied die Beklagte jedoch nicht.

Das SG hat die Klage auf anteilige Bezuschussung der videogestützten Türöffnungsanlage abgewiesen, das LSG hat die Berufung hiergegen zurückgewiesen: Die videogestützte Türöffnungsanlage und der Treppenlift seien als einheitliche Gesamtmaßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds des Klägers anzusehen, weshalb deren weitere Bezuschussung ausscheide.

 

Die Revision des Klägers beim BSG war unbegründet. Im Ergebnis zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass dem Kläger Zahlungsansprüche gegen den Beklagten aus dem Pflegeversicherungsvertrag nicht zustehen. Eine videogestützte Türöffnungsanlage ist dem Zweck nach keine von der Pflegeversicherung zu bezuschussende Maßnahme der Wohnumfeldverbesserung, sondern ein der Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung zuzurechnendes Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich.

Ob eine technische Hilfe im Haushalt als eine grundsätzlich von der Pflegeversicherung zu bezuschussende Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds eines Pflegebedürftigen anzusehen ist, beurteilt sich nach der Rechtsprechung des Senats vorwiegend danach, ob die Hilfe ihrem Zweck nach auf eine Anpassung der konkreten Wohnumgebung an die Bedürfnisse des Menschen mit Behinderungen zielt und deshalb in einer anderen Wohnumgebung nicht notwendig ebenso benötigt wird. Von der konkreten Wohnumgebung unabhängige Hilfen sind der Wohnumfeldverbesserung danach ausnahmsweise nur dann zuzurechnen, wenn sie so fest in die konkrete Wohnumgebung einzubauen sind, dass sie bei einem Umzug regelmäßig am alten Ort verbleiben, weil der Ausbau mit zu erheblichen Substanzeinbußen verbunden wäre.

Ob eine von der konkreten Wohnumgebung grundsätzlich unabhängige technische Hilfe - wie hier eine videogestützte Türöffnungsanlage - nach diesem Maßstab wegen der besonderen Einbauanforderungen ausnahmsweise dennoch den wohnumfeldverbessernden Maßnahmen zuzurechnen ist, beurteilt sich zum einen nach dem technischen Stand zum Versorgungszeitpunkt und zum anderen nach den Anforderungen, die bei einem durchschnittlichen Wohnstandard an eine solche Hilfe und eine dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügende Anpassung an die Wohnumgebung üblicherweise zu stellen sind.

Hieran gemessen sind videogestützte Türöffnungsanlagen zur Öffnung der Haustür nach dem gegenwärtigen Stand der Technik Hilfsmittel der Krankenversicherung zum mittelbaren Behinderungsausgleich und keine mit Mitteln der Pflegeversicherung zu bezuschussenden Maßnahmen der Wohnumfeldverbesserung.

Sofern Versicherte behinderungsbedingt nicht in der Lage sind, sich selbständig zu ihrer Wohnungs- oder Haustür zu begeben, um auf ein Klingeln Besucher einzulassen, kann es nach dem zwischenzeitlich erreichten Stand der Technik nur in die Leistungsverantwortung der Krankenversicherung fallen, ihnen die erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen.

Als Maßnahme der Wohnumfeldverbesserung kann eine solche Anlage danach selbst dann nicht mehr angesehen werden, wenn ihre Verbreitung in der Bevölkerung so groß wäre, dass sie nicht mehr dem gehobenen Komfortanspruch zuzurechnen wäre.

 

BSG, Urt. vom 30.11.2023, B 3 P 5/22 R

Quelle:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/ DE/2023/2023_11_30_B_03_P_05_22_R.html