Die Studie „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ (KViA-Pol) der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ist noch nicht beendet, doch erste Einschätzungen wurden bereits vorab durch das Forscherteam bekannt gegeben. Nach diesem soll das Ausmaß illegaler Polizeigewalt in Deutschland erschreckend hoch sein. Während sämtliche Medien diese Einschätzungen aufgreifen, stellt sich schon jetzt die Frage nach deren Aussagegehalt.
Beschreibung der Studie
Bereits vor Beginn der durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Studie wurde diese beworben und aktiv nach Teilnehmern gesucht, die Opfer rechtswidriger Polizeigewalt geworden sind. Über ein Online-Tool konnten sich Freiwillige anonym an der Befragung beteiligen. Die Forscher erfreuten sich nach Angaben ihres Zwischenberichtes über ein großes Interesse und vor allem einer regen Teilnahme an der Studie: An der Onlinebefragung nahmen demnach mehr als 1.000 Betroffene teil. Durchgeführt wurde diese auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Französisch. Nach diesem ersten Teil der Erhebung ergänzt das Forscherteam der RUB die Daten gegenwärtig durch qualitative Interviews mit Angehörigen von Polizei und Justiz.
Auf diese Art soll nach Angaben des Forscherteams erhoben werden, welche Personengruppen besonders häufig Opfer illegaler Gewaltanwendungen durch Polizeibeamte werden und in welchen Situationen dies geschieht. In der Dunkelfeldstudie soll zudem durch eine Befragung der Opfer nachvollzogen werden können, warum sich diese gegen eine Anzeige entschieden haben.
Befragung zum Aufkommen rechtswidriger Polizeigewalt
In der diskutierten Studie wurde explizit nach den Erfahrungen von den Teilnehmern mit rechtswidriger Polizeigewalt gefragt. Gerade die subjektive Bewertung, was rechtmäßig und was rechtswidrig ist, kann dabei jedoch schwerfallen. Zudem unterliegt die Einschätzung aufgrund natürlicher Interessenkonflikte zwischen Polizeivollzugsbeamten und dem polizeilichen Gegenüber zuweilen unterschiedlicher Auffassung.
Als staatliche Exekutive ist die Polizei generell befugt, körperliche Gewalt anwenden, wenn dies erforderlich ist, um eine polizeiliche Maßnahme durchzusetzen. Die Anwendung des sog. unmittelbaren Zwangs unterliegt dabei dem geltenden Recht und damit verbunden stets einer zu wahrenden Verhältnismäßigkeit. Zudem muss der unmittelbare Zwang angedroht werden, sofern die Umstände dies erlauben. Wenn die Mittel zu Gewaltanwendung unverhältnismäßig sind oder die Voraussetzungen für eine Gewaltanwendung nicht mehr vorliegen, werden die Grenzen polizeilicher Befugnisse überschritten. In solchen Fällen wäre die polizeiliche Gewaltanwendung rechtswidrig und könnte eine strafbare Körperverletzung im Amt gemäß § 340 Strafgesetzbuch darstellen.
Anzeigeverhalten und Dunkelfeld
Als Zwischenergebnis kommen die Wissenschaftler der RUB zu der Einschätzung, dass es im Jahr zu etwa 12.000 Fällen von rechtswidriger Polizeigewalt komme. Diese Schätzung steht im starken Kontrast zu erstatteten Anzeigen, die im Schnitt ca. 2.000 Mal pro Jahr erstattet werden. Der verantwortliche Wissenschaftler der Studie KViA-Pol, Prof. Dr. Tobias Singelnstein (RUB), beklagt seit Jahren, dass auch die angezeigten Fälle nur selten in einer Verurteilung von Polizeibeamten münden. In diesem Kontext sieht er die generell enge Verbindung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei als problematisch, da die Verfahren häufig eingestellt werden, bevor sie im Gericht verhandelt werden könnten. Statistisch betrachtet münden weniger als zwei Prozent der Fälle in einem Gerichtsverfahren, weniger als ein Prozent enden mit einer Verurteilung. Allerdings reichen diese Zahlen nicht aus, um Staatsanwaltschaften vorzuwerfen, dass sie die Verfahren zu schnell einstellen. Vielmehr müssen die Umstände der Anzeige betrachtet werden: Nicht selten erstatten Personen, die von der Polizei angezeigt wurden, ihrerseits Anzeige gegen die Beamten, um beispielsweise ein Widerstandsdelikt zu rechtfertigen und so selbst bessere Chancen für den Prozess zu haben oder weil sie schlichtweg auch gerechtfertigte Maßnahmen für nicht gerechtfertigt halten.
Auch das Anzeigeverhalten schätzt der Kriminologe aufgrund dieser Konstellation als gering ein, da Betroffene rechtswidriger polizeilicher Gewalt oft keine Chance für ein faires Verfahren sehen würden. Dieser Umstand ist in der Tat problematisch, da ein Betroffener Anzeige bei der Polizei gegen einen derer Kollegen erstatten muss. Entsprechend plädiert Singelnstein für Sonderstaatsanwaltschaften, die sich ausschließlich mit Strafanzeigen gegen Polizeivollzugsbeamte befassen.
Gegenwärtige Kontroverse
Die Studie ist noch nicht vollendet, die Ergebnisse bleiben somit abzuwarten. Die dennoch getroffenen Aussagen des Forscherteams und deren Aufgreifen durch die Medien zeichnen ein bedenkliches Bild von Polizeibeamten im Einsatz, die ihre Befugnisse zum Nachteil des Bürgers überschreiten. Die Einschätzung von 12. 000 Fällen oder mehr illegaler Gewaltanwendung steht unterdessen im Raum, ohne dass gegenwärtig nachvollzogen werden kann, wie diese Einschätzung durch die Stichprobe von ca. 1.000 Fragebögen genau ermittelt wurde und durch welche Methodik gewährleistet wird, dass die gemachten Angaben der Teilnehmer erlebten Tatsachen entsprechen und nicht auch von einer Anzahl der Teilnehmer etwa aus dem Wunsch gemacht wurden, die Polizei bewusst als unrechtmäßig brutal agierend darzustellen.
Dass es in polizeilichen Einsätzen zu einer Überschreitung der Befugnisse und damit rechtswidriger Gewalt kommen kann, steht außer Frage. Solche Fälle gab und gibt es. Diese müssen jedoch jeweils im einzelnen Fall geprüft werden. Polizeibeamte werden für die Abwägung anzuwendender Mittel des unmittelbaren Zwangs stets sensibilisiert. Dies geschieht nicht nur im Studium/in der Ausbildung, sondern auch fortwährend im Dienst. Zudem unterliegen die Beamten diversen Kontrollmechanismen und befinden sich keineswegs im rechtsfreien Raum der Gewaltanwendung nach Lust und Laune.
Die nun kommunizierten Erkenntnisse klingen im Medienecho allerdings nach systematischer, rechtswidriger Polizeigewalt. Ergebnisse einer Studie auf diese Art zu präsentieren, bevor diese allen zur Verfügung stehen und somit auf ihren Aussagegehalt hin diskutiert werden können, entbehrt eines sorgfältigen und neutralen wissenschaftlichen Umgangs. Die getätigten Aussagen können gegenwärtig nicht nachgeprüft werden, sie erzeugen jedoch ein Klima des Misstrauens der Bürger gegen die Polizei. Die verantwortlichen Wissenschaftler sollten sich daher fragen, ob ihre Absicht primär in der unvoreingenommenen Erforschung eines Phänomens liegt oder in der gezielten Untermauerung der These, dass Anzeigen gegen Polizeivollzugsbeamte zu selten mit einer Strafe belegt werden.
Verwendete Quellen: