Nach den Anschlägen von Halle und Hanau zeigt sich, dass Deutschland ein unterschätztes Problem mit rechtsextremistischem Terrorismus und Rassismus hat. Menschen, die nicht „deutsch genug“ aussehen, werden auf offener Straße und im Netz diskriminiert, bedroht, und beleidigt. Offener und gelebter Rassismus ist mitunter inmitten der Gesellschaft angekommen.
Rassismus hat viele Gesichter und zeigt sich auch in deutschen Sicherheitsbehörden. Ein aktueller Fall betrifft zwei Polizeibeamte aus Aachen: Audionachrichten wie „Heil Hitler, Viertes Reich und finaler Kampf“ waren über den Polizeifunk zu hören – während sich die Beamten im Einsatzwagen vor einer Synagoge befanden. Das Phänomen Polizei und Rechtsextremismus ist nicht neu. Vielmehr stellt es ein politisches Dauerthema dar, das offen zu diskutieren ist.
Mittlerweile verzeichnet Deutschland seit der Wiedervereinigung rund 169 Tote durch rechtsextremen Terrorismus. Zweifelsohne ist Rechtsterrorismus in den gesellschaftlichen Fokus gerückt und stellt eine Problematik dar, die den Rechtsstaat herausfordert. Aktuell stuft die Polizei 53 Männer und Frauen als rechtsextreme "Gefährder" ein. Ende 2016 waren es noch 22.
Rechtsextremismus ist kein Thema wie jedes andere und darf nicht verharmlost oder ignoriert werden. Die Morde in Hanau, Halle oder am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke zeigen, dass rassistische Einstellungen seit 1945 nie wirklich komplett aus Deutschland verschwunden sind.
Keine Einzeltäter
Bei den Anschlägen kann längst nicht mehr von einem typischen Einzeltäter gesprochen werden, der sich durch „Ballerspiele“ motivieren lässt, Angst und Terror gegenüber Ausländern und Migranten zu verbreiten. Betroffen sind auch große, staatliche Institutionen und ihre Funktionsträger, deren zentrale Aufgabe darin besteht, den demokratischen Rechtsstaat und die Menschen zu schützen. Dass nicht jeder die rechtsstaatliche Auffassung vertritt, ist bekannt. Personen mit rechtsextremen Einstellungen bei Polizei, Bundeswehr, Justiz und Verfassungsschutz sind keine Seltenheit.
Es sind Phrasen wie „Migration als Mutter aller Probleme“, „Flüchtlingsboote als Shuttle-Service“ oder „Asyltourismus“, die Nährboden für rechten Terrorismus bieten und Menschen, die eine Abneigung gegen Andersdenkende und Andersaussehende haben, in ihrer rechten Gesinnung bestärken.
Nach Recherchen des Deutschlandfunks (DLF) im Jahr 2019 sind rund 200 Vorfälle rechtsextremistischer Haltungen und Handlungen von Polizisten/innen ausgegangen. Diese Zahl ist im Verhältnis zu den 260.000 Beamten/innen nicht viel. Beachtet man aber die Tatsache, dass es sich um Ordnungshüter/innen eines freiheitlich demokratischen Landes handelt, ist diese Zahl durchaus alarmierend.
Strukturen erkennen
Der Bundesinnenminister relativierte die Thematik rund um den Extremismus in den Sicherheitsbehörden 2019 als „Fälle im Promillebereich“. Von einem „Massenphänomen“ könne keine Rede sein. Eines muss jedoch deutlich gemacht werden: Wenn über rechte Einstellungen oder Rassismus in der Polizeiorganisation oder anderen Sicherheitsbehörden gesprochen wird, dann sind das keine Einzelfälle.
Dies belegen unter anderem die folgenden Situationen:
- Die rechte Terrorzelle „Teutonico“, die Geld und Waffen für Anschläge auf Moscheen gesammelt hat. Unter den Mitgliedern befand sich auch ein Mitarbeiter der nordrhein-westfälischen Polizei.
- Der Staatsschutzbeamte, der sich bei einer Razzia einer als kriminellen Vereinigung bekannten Neonaziband ein Autogramm von deren Sänger geben lässt.
- Der Polizei-Ausbilder, der seine Schüler und Schülerinnen beim Schießtraining auffordert, das Zielen zu lernen - wegen der „vielen Gäste“ in Deutschland.
- Der Überfall von mehr als 200 vermummten Hooligans auf den als linksalternativ geltenden Stadtteil Connewitz im Januar 2016, woran auch ein sächsischer Justizvollzugsbeamter beteiligt war.
- Der Staatsanwalt, der eine Anzeige wegen antisemitischer Morddrohungen bearbeiten soll – und stattdessen dem Sohn der bedrohten Familie rät, nicht mehr „so provokant“ öffentlich gegen Rechtsextremismus aufzutreten.
- Der Bundeswehrsoldat, der auf der Stube Nazi- Lieder singt und in seiner Freizeit zu Neonaziaufmärschen geht.
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