RICHARD BOORBERG VERLAG

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02.05.2018

Jörg H. Trauboth

Lösegeldversicherungen und Entführungsversicherungen

          

Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen hat eine Neuorientierung hinsichtlich Produkterpressungs- und Lösegeldversicherungen vollzogen.

Die Rechtslage

Der internationale Versicherungsmarkt hatte bereits in der Vergangenheit sogenannte Kidnap & Ransom-Versicherungen angeboten, die das persönliche und unternehmerische Risiko bei allen Erpressungsdelikten abdeckten. Derartige Verträge durften bis Juni 1998 in Deutschland nicht gezeichnet werden. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen hat die Versicherung von Lösegeldforderungen bei entführten oder mit Gewalt bedrohten Personen als Verstoß gegen den ordre public (§ 138 Abs. 1 BGB; Art. 6 EGBGB) abgelehnt, weil damit die Gefahr des erpresserischen Menschenraubes gefördert würde. Diese Denkauffassung galt auch für Lösegeldzahlungen bei Produkterpressungen.

Seit 21. Juli 1998 wird diese generelle Ablehnung nicht mehr aufrechterhalten. Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen hat angesichts der Erfahrungen in Deutschland sowie im EU/EWR-Raum in Abstimmung mit Versicherern und Behörden eine Neuorientierung vollzogen und vertritt jetzt die Auffassung, dass unter „gewissen Voraussetzungen“ der Betrieb von Produkterpressungs- und Lösegeldversicherungen nicht gegen den ordre public verstößt. Damit erfolgte eine Angleichung an die Rechtsauffassung aller übrigen EU-Mitglieder, mit Ausnahme von Italien. Dort ist angesichts der Vielzahl von Entführungen jeglicher Betrieb von Lösegeldversicherungen verboten und wird hart sanktioniert.

Ein Betrieb dieser Versicherungen ist in Deutschland im Einklang mit dem ordre public jedoch nur möglich, wenn das hohe Geheimhaltungserfordernis und die Ermittlungsarbeit der Polizei nicht behindert werden. „Lösegeldversicherungen“ dürfen unter Auflagen abgeschlossen werden.

Hinweise des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen zum Betrieb von Lösegeldversicherungen

Es ist erforderlich, dass

1. für die Versicherungen nicht geworben wird;

2. diese Versicherungen nicht mit anderen Versicherungsverträgen gebündelt werden (sog. „Rundum-Versicherungsschutz“) oder in Kombination mit anderen Versicherungszweigen bzw. -arten Versicherungsschutz gewährt wird;

3. die Laufzeit der Versicherungsverträge ein Jahr nicht überschreitet, damit die Risikoverhältnisse und die Angemessenheit der Versicherungssumme in kurzen Abständen erneut geprüft werden können;

4. die Versicherungssumme den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versicherungsnehmers angemessen ist, damit das subjektive Risiko sich nicht erhöht;

5. ein kompetentes Sicherheitsunternehmen eine präventive Beratung anhand eines Sicherheitskonzepts bei dem Versicherungsnehmer durchführt;

6. dem Versicherungsnehmer die Obliegenheit zur Geheimhaltung des Versicherungsschutzes auferlegt wird; höchstens drei Personen seines Vertrauens sollte er über das Bestehen der Versicherung informieren; diese Personen müssen dem Versicherer namentlich benannt und vom Versicherungsnehmer zur Verschwiegenheit angehalten werden;

7. eine zentrale Stelle, die dem Vorstand direkt unterstellt ist, allein für die Verwaltung und Schadenbearbeitung zuständig ist. Die Vertragsdaten müssen verschlüsselt sein, sobald sie gespeichert oder übermittelt werden. In den Anstellungsverträgen der zuständigen Mitarbeiter sollte eine spezielle Verschwiegenheitsverpflichtung enthalten sein. Die Revisionen sollten vom Vorstand/Sicherheitsunternehmen durchgeführt werden;

8. der Versicherungsnehmer, seine Vertrauenspersonen und der Versicherer im Schadenfall verpflichtet sind, die Tat bei der Polizei unverzüglich anzuzeigen und das staatliche Strafverfolgungsinteresse zu unterstützen.

Konsequenzen der Freigabe

Diese Freigabe hat zu folgenden Konsequenzen geführt: Nahezu alle zum Direktversicherungsgeschäft in Deutschland befugten Erstversicherungsunternehmen, haben – soweit sie nicht ausschließlich die Kranken-, Lebens- oder Rechtsschutzversicherung betreiben – den Betrieb von Lösegeldversicherungen aufgenommen. Auf dem Markt ist ein starker Verdrängungswettbewerb entstanden, indem deutsche Versicherungen den traditionellen Einfluss ausländischer Anbieter stark bedrängen. Doch nur wenige Versicherer haben sich – nach anfänglicher Euphorie – durchgesetzt.

Da sich die Inhalte der Versicherungen oft nur in Details unterscheiden, wird der Marktanteil über den Preis bzw. über Gesamtlösungen für den Versicherungsnehmer entschieden. Ein Blick in das Internet zeigt, dass zumindest die Einhaltung des Werbeverbotes in Frage gestellt werden kann. Geworben wird mit einem Versicherungsschutz, der die Risiken Kidnapping, Erpressung, Produkterpressung, Freiheitsberaubung und Hijacking abdeckt. Alle Versicherer fordern – über den Katalog des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen hinausgehend – die Einbeziehung eines Krisenberaters im Versicherungsfall. Als Voraussetzung für einen Versicherungsabschluss erstellt der designierte Krisenberater ein Sicherheitsgutachten. Wichtig ist, dass der Krisenberater in seiner gutachtlichen Beratung für den Kunden unabhängig von eventuellen Vorgaben der Versicherung arbeitet.

Da im Eintrittsfall der Krisenberater mit dem Kunden zusammenarbeitet, ist es, wie vorbemerkt, wichtig, dass Kunde und Berater/Beratungsunternehmen sich kennen. Größere Firmen laden deswegen vor Abschluss die Krisenberatungs-Anbieter ein, bevor sie die Police zeichnen. Wer viele Mitarbeiter in diversen sicherheitskritischen Ländern unter Vertrag hat, sollte sich für ein Beratungsunternehmen entscheiden, das international entsprechend aufgestellt ist. Es gibt aber auch originär deutsche Beratungsfirmen mit einem internationalen Netzwerk.

Quelle:
Trauboth (Hrsg.), Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 2016
 
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