Die vom bayerischen Ministerrat eingesetzte unabhängige Expertenkommission zur Evaluierung des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes hat am 30.8.2019 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Breiten Raum nehmen darin die Ausführungen zur sog. „drohenden Gefahr“ (Art. 11 Abs. 3 PAG), d.h. zu jener Begriffsneuschöpfung ein, die von Beginn an den wohl umstrittensten Aspekt der Reform gebildet hatte. Die Staatsregierung hat angekündigt, das PAG im Lichte der Empfehlungen nachzujustieren. Es lohnt sich daher, die Empfehlungen näher zu betrachten.
Was ist die drohende Gefahr?
Wichtige Erkenntnisse liefert der Bericht zunächst zur Frage, was eigentlich unter einer drohenden Gefahr zu verstehen ist. Die durch sie bewirkte „Vorverlagerung“ erblickt sie (Bericht S. 18) im Kern zu Recht darin, dass sich in den Fällen der drohenden Gefahr das drohende Schadensereignis hinsichtlich Ort, Zeit, Art und Weise noch nicht genau beschreiben lässt. Im Übrigen indes lässt sich die drohende Gefahr, wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe (BayVBl. 2018, 156), nicht von der konkreten Gefahr unterscheiden. Wie diese verlangt sie die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens (die im Falle der drohenden Gefahr sogar noch dadurch qualifiziert ist, dass der Schaden einem bedeutenden Rechtsgut in der Gestalt eines Angriffs von erheblicher Intensität oder Auswirkung drohen muss). Wie diese auch verlangt sie, dass sich die Prognose auf Tatsachen zu stützen hat. Weder hinsichtlich der Tatsachengrundlage noch hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass es zum Schaden kommt, gestattet die drohende Gefahr demnach Abstriche von dem, was auch bei einer konkreten Gefahr zu prüfen wäre; allein darin, dass bei der drohenden Gefahr noch nicht genau vorhersehbar ist, wann, wo und wie sich der Schaden realisieren wird, unterscheidet sie sich. So verstanden ist die drohende Gefahr auch ohne Weiteres handhabbar. Der Bericht lässt keinen Anhaltspunkt erkennen, dass die Definition nicht praxistauglich wäre; im Gegenteil scheint die Praxis sogar gerne auf die (im Vergleich zur konkreten Gefahr) wesentlich präzisere Definition des Art. 11 Abs. 3 PAG zurückzugreifen, so dass die Kommission auch eine explizite Definition der konkreten Gefahr anmahnt, um deren vorrangige Prüfung zu sichern (Bericht S. 27 f.). Zwei häufige Einwände gegen die drohende Gefahr können damit als widerlegt gelten: erstens die Behauptung, sie gestatte Eingriffe schon auf der Basis bloßer Vermutungen (so auch bereits VerfGH vom 7.3.2019 – Vf. 15-VII-18, Rn. 67), zweitens der Vorwurf, sie sei zu unbestimmt. [mehr...]