Versetzen Sie sich in die Lage eines Polizisten in einem Streifenwagen. Sie bekommen einen Einsatz »Straße, Hilferufe einer Frau!«. Vor Ort treffen Sie auf einen bewaffneten Täter, der sofort das Feuer eröffnet. Sie wissen nicht, wer da auf Sie schießen könnte und um wie viele Täter es sich handelt. Wichtige Informationen, die im Zweifel Ihr Leben retten könnten.
Informationen in Echtzeit im laufenden Einsatz ist das Zukunftsziel der Polizei Hamburg unter Nutzung von künstlicher Intelligenz. Mit dem Projekt »Perle« wird derzeit eine Modernisierung des Informationsmanagements im operativen Einsatzgeschehen geplant. Das würde im Falle unserer Schießerei bedeuten, dass die Sie bereits bei Ankunft am Einsatzort über das Smartphone erfahren hätten, wer in dem Haus wohnt, wer Waffen besitzt, wer polizeibekannt ist.
»Die Einsatzleitstellen der Hamburger Polizei und Feuerwehr sollen nach dem Willen des Senats modernisiert und mit neuer Technik ausgestattet werden. Die Sicherheitsinfrastruktur einer wachsenden Stadt müsse zukunftsfähig ausgebaut werden«, sagte Innensenator Andy Grote. »Das Projekt PERLE hat 2017 den Auftrag, zusammen mit der Feuerwehr, eine zukunftsfähige Einsatzzentrale zu schaffen. Dieser Prozess wird ungefähr fünf Jahre dauern.« Beide Leitstellenstandorte von Feuerwehr und Polizei bleiben erhalten. Das erklärte Ziel ist der schnelle Datenaustausch zwischen Leitstelle und Einsatzkräften. Insbesondere soll die Einsatzleittechnik, bestehend aus den drei Komponenten Einsatzleitsystem (ELS), Kommunikationssystem (SKS) und Geoinformationssystem (GIS) modernisiert werden. Einsatzrelevante Informationen aus den verschiedensten Datenquellen sollen möglichst in Echtzeit an die im Dienst befindlichen Helfer*innen und Retter*innen weitergegeben werden. So soll die Sicherheit der Einsatzkräfte erhöht werden. Auch schnellere Entscheidungswege sollen so entstehen.
Vorbild: Real Time Crime Center
In englischen und amerikanischen Großstädten wird eine ähnliche Vorgehensweise bereits praktiziert. Im »Real Time Crime Center« (RTCC) der Polizei tragen Analysten innerhalb von nur wenigen Minuten umfassende Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen zusammen und stellen sie den einschreitenden Polizeibeamten*innen in Echtzeit zur Verfügung. So können die Einsatzkräfte beispielsweise während der Anfahrt zu einem Einsatzort bereits erfahren, ob die Beteiligten einen Waffenschein besitzen, ob es eventuell bereits Bilder oder Videos des Vorfalls in den Sozialen Medien gibt oder ob die Beteiligten vorbestraft sind. Real Time Crime Center bestehen in der Regel aus drei Abteilungen. In der Brücke werden einsatzrelevanten Informationen gesammelt und den Polizisten*innen in Echtzeit zur Verfügung gestellt. Eine weitere Abteilung ist die Videounit. Mit einer Onlinesendung informieren die Mitarbeiter*innen alle Polizisten*innen über die Sicherheitslage der Stadt.
Die dritte Abteilung, die Crime Analysis Unit, sagt basierend auf einer umfangreichen Datensammlung Verbrechen voraus. Von abgehörten Telefongesprächen bis zu Strafzetteln - alle Daten fließen in die Beobachtungen und Analysen ein.
Datensammlung in den Sozialen Medien
Dank der aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenkenden Smartphones und der damit einhergehenden Vernetzung der Menschen kommen den Sozialen Netzen eine besondere Bedeutung im Rahmen der Datensammlung zu. Smartphones und Social Media ermöglichen nicht nur den Bürgern*innen neue Formen der Selbstorganisation, wie z.B. beim Elbe-Hochwasser 2013 eindrucksvoll bewiesen wurde.
Social-Media-Möglichkeiten werden auch die Zukunft von Leitstellen - sowohl was die Technologie, als auch die in ihr ablaufenden Verfahren angeht - massiv beeinflussen, denn diese Medien sind in der Regel sehr schnell. Das zeigen z. B. Videos vom Attentat im Münchner Olympiazentrum oder Bilder und Videos vom G20-Gipfel.
Die Leitstelle als zentrales Organ der Sicherheitsarchitektur
Die Leitstellen, als zentrales Organ der Alarmierungs-, Interventions- und Rettungskette haben in vielerlei Hinsicht eine besondere Bedeutung. Die enge Verzahnung zwischen allen Beteiligten der Polizeien, der Länder, des Rettungsdienstes, der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes ist der Garant für eine optimale und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung. Sie ist unverzichtbar zur Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung. Im Bewusstsein dieser weichenstellenden Funktion und Rolle als Dreh- und Angelpunkt der Gefahrenabwehr müssen sie sich konsequent weiterentwickeln und aktiv in laufende und zukünftig anstehende Veränderungsprozesse einbringen. Hierbei unterliegt nicht nur die Leitstellenlandschaft (Organisation) selbst maßgeblichen Veränderungen, sondern nahezu alle umgebenden Systeme befinden sich in einem ständigen Veränderungsprozess.
Vorteil Zusammenarbeit
Der ehemalige Leiter des G-20-Gipfels, Hartmut Dudde, sagt in einem Interview mit dem Hamburger Polizeijournal: »Es soll in Zukunft schneller und koordinierter auf entsprechende Lagen reagiert werden können. Ziel ist, Informationen gemeinsam zu nutzen, miteinander Lagen zu bewältigen und das Ganze so zeitnah wie möglich. Durch die Feststellungen von Kollegen*innen im Rahmen der Streife oder den Hinweis über einen der Notrufe entwickelt sich eine Lage. Im täglichen Dienst arbeitet das Lagezentrum und die Einsatzzentrale ganz eng zusammen.
Wenn man diese Bereiche vereinen und besser miteinander verzahnen kann, sehe ich dies als Gewinn für die Polizei und einen Erfolg für unsere Arbeit.«
In einer Zeit des technischen und medizinischen Fortschritts, der zunehmenden Konzentration, Regionalisierung und Technisierung der Gefahrenabwehr müssen die Leitstellen über die Grenzen ihrer eigenen Behörde hinweg versuchen, mit möglichst einer gemeinsamen Fachlichkeit aufzutreten und im Verbund mögliche Synergieeffekte auszuschöpfen.
Die Ausschreibungsunterlagen des Projekts PERLE sind hier einzusehen.
Dies ist ein Beitrag aus "InfoSicherheit – Das Fachmagazin für Sicherheit in der Wirtschaft", S. 21, Ausgabe 01/2019