RICHARD BOORBERG VERLAG

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10.10.2022

Mitwirkungspflicht des Nachbarn bei Grenzfeststellung?

Nachbar machte Garantie der Unverletzlichkeit seiner Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG geltend

Aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis kann sich ein Anspruch des Grundstückseigentümers auf Duldung einer für die Grenzfeststellung erforderlichen Vermessung in der Wohnung des Nachbarn ergeben.

Die Parteien sind Eigentümer aneinandergrenzender Grundstücke, die mit Reihenhäusern bebaut sind. Der Kläger stellte einen Bauantrag für die Errichtung eines Gebäudes an der Grundstücksgrenze. Das Bauamt verlangte hierfür die Erstellung eines amtlichen Lageplans. Der unklare Verlauf der nicht abgemarkten gemeinsamen Grundstücksgrenze kann jedoch nur durch Vermessung festgestellt werden. Für die Feststellung der Grenzpunkte bedarf es einer Messung der Wand im Haus der Beklagten, wofür deren Wohnung durch den Vermessungsingenieur kurzzeitig betreten werden muss. Die Beklagte verweigerte jedoch den Zutritt in ihre Wohnung.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts steht dem Kläger kein Anspruch auf Gewährung des Zutritts zu der Wohnung der Beklagten zu. Zwar werde der Kläger ohne die Grenzfeststellung nicht in der Lage sein, einen ordnungsgemäßen Bauantrag zu stellen. Dem stehe aber das höher zu bewertende Interesse der Beklagten an der Unverletzlichkeit ihrer Wohnung entgegen. 

Bei der vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen im konkreten Fall ist – so der BGH – einerseits die hohe Bedeutung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung zu beachten, andererseits aber auch, dass die Grenzfeststellung auch im objektiven Interesse der Beklagten liegt. Das BGH entschied, dass sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis durchaus ein Anspruch auf Duldung einer erforderlichen Vermessung in der Wohnung des Nachbarn ergeben kann. Dass Wohnungen für die amtliche Vermessung nach den Bestimmungen des einschlägigen Landesvermessungsgesetzes nur mit Einwilligung des Wohnungsinhabers betreten werden dürfen, schließe die Durchführung der Vermessung nicht aus.

 

 

 

Quelle:
BGH, Urt. vom 19.5.2022, V ZR 199/21