RICHARD BOORBERG VERLAG

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13.11.2018

Professor Achim Albrecht

Deutschland auf dem Weg zu einem säkularisierten kirchlichen Arbeitsrecht?

Die Leitentscheidung des EuGH

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In dem Rechtsstreit eines ehemaligen Chefarztes und eines katholischen Krankenhauses, das ihn kündigte als er nach seiner Scheidung erneut heiratete, entschied der EuGH am 11.9.2018, nachdem ihn das Bundesarbeitsgericht mit Fragen über die Auslegung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG) angerufen hatte.

Zur Historie eines epischen Meinungsstreits

Bereits mehrfach hatten Arbeitsrechtler, Verfassungsrechtler, kirchliche Arbeitgeber und betroffene Arbeitnehmer gedacht, ein leidiges Thema sei juristisch endgültig geklärt. Es geht um eine vertrackte Spezialität der deutschen Rechtswirklichkeit, die auf Art. 140 GG, Art. 137 III WRV gründet. Dort ist niedergelegt, dass Kirchen in all ihren Ausprägungen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Handelns ihre inneren Angelegenheiten nach Vorgaben des jeweiligen Kirchenrechts selbst bestimmen dürfen.

Jahrzehntelang wurde von den deutschen Arbeitsgerichten und dem BVerfG dieser Grundsatz uneingeschränkt so verstanden, dass in den sogenannten Tendenzbetrieben – vom Kindergarten bis zum Pflegeheim in kirchlicher Trägerschaft – das jeweilige Religionsverfassungs- und Staatskirchenrecht angewandt werden könne, ohne dass staatliche Gerichte die angewandten Grundsätze dabei bewerten, überprüfen und verwerfen dürften. Damit galt als festgelegt, dass die Kirchen aus ihrer religiösen Überzeugung heraus festzulegen hatten, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiter stellten, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert und welches Gewicht ein Loyalitätsverstoß hat. Nur ein radikaler Verstoß gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung könnte den Staat zum Einschreiten zwingen. Ansonsten müsse er in seiner verfassungsgemäßen Ausprägung religiöser Neutralität verharren.

Dies führte zu einer scheinbar unüberwindlichen Verfestigung der Rechtsprechung, die kirchlichen Arbeitgebern über Jahrzehnte bescheinigte, dass z.B. die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu beanstanden sei, wenn ein geschiedener katholischer Arbeitnehmer eines katholischen Tendenzbetriebes wieder standesamtlich heiratete.

Bewegung kam in die Sache durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, der z.B. im Schüth-Urteil im Jahr 2010 entschied, dass die staatliche Neutralitätspflicht zurückzustehen habe, wenn kirchliche Arbeitgeber unannehmbare Anforderungen an ihre Arbeitnehmer richten. Zwar billige die Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, den Kirchen ein konventionsrechtliches Autonomierecht zu, jedoch seien die kirchlichen Loyalitätsgebote in jedem Fall gegen konventionsrechtliche Garantien der Arbeitnehmer, wie die Freiheit, die eigene Lebensführung frei zu planen und auszuüben, abzuwägen...[mehr]

Prof. Achim Albrecht
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