Eine der in der täglichen Praxis von Verwaltung und Gerichten regelmäßig zu entscheidende Frage in Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist die, ob es sich bei der geltend gemachten Tathandlung um einen rechtswidrigen vorsätzlichen tätlichen Angriff handelt, deren Bejahung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG Grundvoraussetzung für einen Versorgungsanspruch nach diesem Gesetz ist. Die hierzu vertretenen Auffassungen in der Fachwelt weichen – wie bei rechtlichen Wertungsfragen dieser Art nicht anders zu erwarten – nicht unerheblich voneinander ab und lassen bisweilen auch Rückschlüsse auf die rechtsphilosophische Haltung des jeweiligen Autors zu.
Nachfolgend soll kurz, exemplarisch und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit beleuchtet werden, welche rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an den Teilaspekt des tätlichen Angriffs gestellt wurden und werden.
Aktueller Anlass
Mit einem an die Länder gerichteten Rundschreiben vom 10. Oktober 2017 – SER 2 – 54030 – hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) dazu geäußert, welche Konsequenzen aus dem bereits vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R – datierenden Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu ziehen sind. Dieses Urteil drückt eine im Kontext verschiedener Quellen zum OEG durchaus beachtenswerte Rechtsauffassung aus. Es soll nachfolgend deshalb ein wenig näher betrachtet und eingeordnet werden. Auch soll kurz aufgezeigt werden, was dazu geführt hat, dass das Urteil erst verhältnismäßig spät Einzug in den Verwaltungsvollzug gefunden hat.
Gesetzgeberischer Ursprung
Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Schaffung des OEG bei der Ausgestaltung des tätlichen Angriffs bekanntlich zwar Begrifflichkeiten aus dem Strafrecht und bereits in den 1920er Jahren erfolgten Bewertungen des Reichsgericht als des u.a. für den Bereich der Strafrechtspflege obersten Gerichtshofs im Deutschen Reich angelehnt, aber das Strafgesetzbuch selbst nicht als Quelle für sozialentschädigungsrechtliche Tatbestände benannt. Ausdrücklich definiert die – heute noch durchaus lesenswerte – BT-Drucks. 7/2506 vom 27. August 1974 in der Begründung zur Schaffung des OEG, dass unter einem „rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person“ eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen zielende feindselige Einwirkung zu verstehen, für die ein Rechtfertigungsgrund nicht gegeben ist (Seite 13/14 a.a.O.). Ab wann konkret von einer Tätlichkeit auszugehen ist, führt die Gesetzesbegründung nicht explizit aus. Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass das OEG unter dem Eindruck der in den 1970er Jahren gegenwärtigen Gewaltereignisse im öffentlichen Raum, so beispielsweise den Anschlägen der Rote-Armee-Fraktion, entstanden und letztlich geformt wurde. So führt der Gesetzgeber an anderer Stelle der Begründung zum OEG aus, dass das Gesetz der in jüngerer Zeit gewachsenen Erkenntnis Rechnung trage, dass Opfern von Gewalttaten stärker aus öffentlichen Mitteln geholfen werden müsse, damit gerade schwer geschädigten Betroffenen staatliche Hilfe als ein Gebot der Gerechtigkeit zuteilwerden könnten (Seite 7 a.a.O.). Damit lag der Fokus bei der Ausgestaltung des OEG erkennbar auf Menschen, die in schwerwiegender Weise von einer Gewalttat betroffen sind. Für diesen Personenkreis mag sich die Frage des Umfangs der Tätlichkeit schon deshalb nicht gestellt haben, weil sich ihre Verletzungsfolgen eine andere als eine tatsächlich körperlich im eigentlichen Sinne auf den Betroffenen einwirkende Tathandlung kaum vorstellen lässt, zumal der Gesetzgeber ausdrücklich erwerbsunfähige, hilflose und pflegebedürftige Gewaltopfer als Adressaten des OEG benennt. Weiterhin ersichtlich wird dies auch daran, dass in der weiteren Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass der Entwurf den wesentlichen Bereich der sogenannten Gewaltkriminalität, die zu Körperverletzungen oder Tod führen kann, erfassen soll (Seite 10 a.a.O.)...[mehr]