RICHARD BOORBERG VERLAG

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25.07.2018

Verbandsklagerecht

Zwischen Naturschutz und Missbrauch

Umweltverbandsklagen gegen Windkraft in der Praxis

© IndustryAndTravel/123RF.com

Nicht alle Verbände haben jedoch nur den Umweltschutz zum Ziel. Seit Einführung des Verbandsklagerechts vor einigen Jahren gründeten vor allem örtliche Bürgerinitiativen klagewillige Verbände, deren einziger Existenzzweck die Verhinderung von Windparks in ihrer Umgebung zu sein scheint. Diese Klagen sind nun in der gerichtlichen Praxis angekommen – wie ein Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt im April 2018 erneut gezeigt hat. Prüfen können die Gerichte die Anerkennung der Verbände in vielen Fällen jedoch nicht. Eine gesetzgeberische Klarstellung ist hier wünschenswert.

Umweltverbände dürfen – anders als im deutschen Verwaltungsrecht ansonsten vorgesehen – auch dann gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung klagen, wenn sie nicht in eigenen Rechten verletzt sind. Der frühere Versuch des Gesetzgebers, dieses europa- und völkerrechtlich vorgegebene Klagerecht dadurch zu limitieren, dass es sich aber zumindest um Rechtsverletzungen handeln müsse, die dem Schutz bestimmter Personen dienen, ist zu Recht vom EuGH verworfen worden (Urteil vom 12.05.2011 – C-115/09) und mittlerweile Rechtsgeschichte.

Bereits an diesem Beispiel zeigen sich jedoch die Schwierigkeiten, ein objektives Verbandsklagerecht in das deutsche Verwaltungsprozessrecht zu integrieren. Zu groß sind die Differenzen zu althergebrachten Grundsätzen des deutschen Prozessrechts. (Vorerst) letztes Kapitel dieser Entwicklung: Die Abschaffung der sogenannten materiellen Präklusion im deutschen Recht. Bislang hatte für Genehmigungsverfahren mit förmlicher Öffentlichkeitsbeteiligung gegolten, dass Kläger, die sich nicht bereits im Verwaltungsverfahren zu Wort gemeldet hatten, mit einer späteren Klage ausgeschlossen waren. Auch diese Gesetzesänderung aus dem Juli des vergangenen Jahres geht auf eine Entscheidung des EuGH (Urteil vom 15.10.2015 − C-137/14) zurück, der die deutsche Rechtslage als nicht europarechtskonform eingestuft hatte, weil hiermit die Klagemöglichkeiten der Umweltverbände unzulässig beschränkt würden.

Interessengruppen gründen Umweltverbände

Die Entwicklung der Verbandsklagerechte und die Rolle der Bundesrepublik bei der Umsetzung der bindenden europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben mag man beurteilen, wie man möchte. Für das Gros der Verbandsklagen spielen „Feinheiten“ wie die materielle Präklusion allerdings keine, jedenfalls keine entscheidende, Rolle. In der Praxis zeigt sich nämlich, worum es häufig wirklich geht –  nämlich dass Interessengruppen den Naturschutz vorschieben, um Windkraftprojekte zu verhindern. Deswegen treten als Kläger häufig gerade nicht die etablierten Umweltverbände wie der NABU oder der BUND auf (die auch das Wissen mitbringen, um Verstöße tatsächlich zu erkennen), sondern illustre Vereinigungen, die letztlich auf örtliche Bürgerinitiativen zurückgehen und oftmals auch keine besonderen Kenntnisse im Naturschutz vorweisen können.

Um allzu offensichtlichen Missbrauch zu verhindern, sieht das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor, dass Umweltverbände von der zuständigen Landesbehörde oder vom Umweltbundesamt anerkannt werden müssen, um die erweiterten Klagerechte in Anspruch nehmen zu können. Anerkennungsvoraussetzung ist unter anderem, dass der Verband seit drei Jahren tätig ist. „Ad hoc“-Verbandsgründungen zur Einlegung einer Anfechtungslage sind deswegen zumindest ausgeschlossen. Allerdings dürfen Verbände, die bereits einen Antrag auf Anerkennung gestellt haben, unter bestimmten Umständen bereits Klagen einlegen, auch wenn über die Anerkennung noch nicht entschieden ist.

Aktuelle Gerichtsentscheidungen

Mit solchen „vorzeitigen“ Umweltverbandsklagen haben sich seit vergangenem Jahr unter anderem das Verwaltungsgericht Frankfurt (7.3.2017 – 8 K 395/15),  das Verwaltungsgericht Darmstadt (3.8.2017 – 6 L 850.17 und 29.3.2018 – 6 L 3548/17) sowie das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (28.2.2018 – 2 B 811/17) befasst. In allen Fällen blieben die Verbände letztlich erfolglos, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. In Darmstadt ging es in beiden Entscheidungen um einen Verband, der die Klage zwei Wochen nach Einreichung seiner vollständigen Antragsunterlagen beim Umweltbundesamt erhoben hatte. Zu früh, urteilte das Gericht in seiner ersten Entscheidung. „Vorzeitige“ Umweltverbandsklagen sind nämlich nur zulässig, wenn der Verband es nicht zu vertreten hat, dass er noch nicht anerkannt ist. Dies ist, so das Gericht, aber regelmäßig erst drei Monate nach vollständiger Antragstellung der Fall. Schließlich sei der Behörde ein ausreichender Prüfungszeitraum zuzugestehen. Dieser Auffassung hat sich das  Oberverwaltungsgericht des Saarlandes angeschlossen und dem dortigen Verband ebenfalls attestiert, er habe das Anerkennungsverfahren nicht rechtzeitig eingeleitet. [mehr]

 

 

 

 

Quelle: PUBLICUS

Dr. Sebastian Helmes