Problemstellung
Abgesehen von der Tatsache, dass kommunale Straßen zu den Leistungen der Öffentlichen Hand zählen, die finanzwissenschaftlich als „öffentliche Güter“ bezeichnet werden, auf die das Äquivalenzprinzip deshalb nicht anwendbar ist und für die aus diesem Grund ein Beitrag gar nicht erhoben werden darf, erfüllen die konstruierten Vorteile auch die Anforderungen nicht, die das Äquivalenzprinzip an sie stellt. So haben alle Straßennutzer die „Inanspruchnahmemöglichkeit der Straße“. Es handelt sich also insoweit nicht um einen Sondervorteil der Grundstückseigentümer. Ferner ist die Inanspruchnahmemöglichkeit auch nicht durch die grundlegende Straßenerneuerung, sondern durch die frühere Grundstückserschließung geschaffen worden, die normalerweise für sehr lange Zeiträume fortbesteht.
Die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen trotz nicht bestehender Sondervorteile der Grundstückseigentümer verletzt die grundgesetzlich geforderte abgabenrechtliche Gleichbehandlung.1
Grundstückserschließung und Straßenbaumaßnahmen sind unterschiedliche Sachverhalte
Die Vernachlässigung der Anforderungen, die das Äquivalenzprinzip an beitragsberechtigende Vorteile stellt, hat ihren Grund offenbar darin, dass zwischen Erschließung und (späterer) grundlegender Straßenerneuerung nicht unterschieden wird. Die verwaltungsrechtliche Anlehnung an die Erschließung deutet sich nicht nur in der unhaltbaren Aussage an, dass die grundlegende Straßenerneuerung die Fortsetzung der Erschließung sei. Sie wird auch in der Umdeutung des Sachverhalts der Straßenerneuerung in einen grundstücksbezogenen Sachverhalt deutlich, durch die ein vermeintlicher grundstücksbezogener Vorteil ermöglicht zu werden scheint, wie er in der Erschließung tatsächlich anfällt. Die Erschließung aber ist – anders als die grundlegende Straßenerneuerung – auf die einzelnen Grundstücke bezogen. Sie bewirkt eine Statusänderung der Grundstücke, die mit dem Ertragswert den Verkehrswert der Grundstücke steigen lässt. Dieser sich aus der Erschließung wirklich ergebende (wirtschaftliche) Vorteil rechtfertigt die Erhebung eines Erschließungsbeitrags. Solche grundstückswertsteigernden Aktivitäten und Wirkungen gibt es im Sachverhalt der Straßenbaumaßnahmen jedoch nicht.
Im Gegensatz zur grundlegenden Straßenerneuerung soll die Erschließung von Grundstücken durch ein rechtliches (Bebauungsplan) und ein tatsächliches Maßnahmenbündel (Ver- und Entsorgungsleitungen, Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz) eine Veränderung des Grundstücksstatus bewirken. Ein landwirtschaftlich genutztes oder brachliegendes Landstück wird in ein bebaubares und bewohnbares, an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossenes Grundstück verwandelt. Die Statusänderung steigert mit dem Ertragswert auch den Verkehrswert des Grundstücks. Die Erschließung legt zugleich die Besiedlungsstruktur eines Gebietes sowie seine dauerhafte Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz fest. Die Straßenbau-Funktion „Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz“ bewirkt den Wertsteigerungseffekt der Grundstücke durch den Straßenbau. Die Erneuerung von Leitungen oder Straßen dagegen verändert weder den Grundstücksstatus noch die Gebietsstruktur oder die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz. Selbst ein Neubau der Straße unterbricht diese Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz nicht, weil auch für die Bauzeit der Zugang zu den Grundstücken sichergestellt wird. Der fortbestehende Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz bedeutet, dass das Verkehrswertniveau der Grundstücke durch die Neubaumaßnahmen nicht beeinflusst werden kann. Aber auch eine kurzfristige baubedingte Unterbrechung des Zugangs würde nicht besagen, dass der Anschluss an das öffentliche Netz nicht mehr besteht. Sie beeinflusst deshalb selbst in diesem Fall nicht das Verkehrswertniveau der Grundstücke. Diese Straßenbaumaßnahmen können deshalb keine Fortsetzung oder Erneuerung der Grundstückserschließung darstellen.
Differenzierung der Straßenbaumaßnahmen
Die unzulässige Umdeutung der grundlegenden Straßenerneuerung zu einer Erschließungsmaßnahme wird auch in der willkürlichen Differenzierung der Straßenbaumaßnahmen in grundlegende Straßenerneuerung einerseits und Instandhaltung oder Reparatur andererseits deutlich. Die einfache Straßenerneuerung in Form der Instandhaltung oder Reparatur wird verwaltungsrechtlich zu Recht als nicht beitragsfähig angesehen. Für die gründlichere Straßenerneuerung aber soll die Beitragserhebung berechtigt sein. Dabei gibt es zwischen beiden Straßenbaumaßnahmen keinen prinzipiellen Unterschied. In beiden Fällen wird die Straße nach einer mehr oder minder starken Abnutzung erneuert. Das ausschließliche Ziel ist in beiden Fällen, die Straße wieder besser bzw. normal befahrbar zu machen. Während im Fall der grundlegenden Straßenerneuerung normalerweise auch der Unterbau der Straße erneuert wird, wird im Fall der sogenannten Unterhaltung oder Reparatur nur die Deckschicht der Straße – beispielsweise durch Auftragen einer neuen Verschleißschicht auf die Fahrbahn – erneuert. Der Unterschied zwischen beiden Straßenbaumaßnahmen ist deshalb nur graduell. Es gibt keine Unterschiede in der Verursachung der Schäden und keine grundsätzlichen Unterschiede in der Wirkung der Erneuerung. Da in beiden Fällen weder die Grundstücke von den Baumaßnahmen betroffen sind noch deren Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz verändert wird, verändern sich auch Ertrags- und Verkehrswert der Grundstücke nicht. Die verwaltungsrechtlich unterschiedliche Behandlung beider Fälle ist somit willkürlich. Sie lässt sich nur durch die schon genannte, aber unzulässige Umdeutung der grundlegenden Straßenerneuerung in eine grundstücksbezogene Erschließungsmaßnahme erklären, die nach irrtümlicher verwaltungsrechtlicher Einschätzung einen vermeintlichen beitragsberechtigenden Vorteil zur Folge hat. Diese Umdeutung aber ist – wie schon ausgeführt – unzulässig, weil die grundlegende Straßenerneuerung ebenso wie die Reparatur der Straße durch die Straßennutzer verursacht wurde und ihnen allen einen Vorteil bietet. Und ganz entscheidend ist, [...mehr]
1 Vgl. Ernst Niemeier: Kommunale Straßensanierung: Steuerfinanzierung muss Beitragsfinanzierung ablösen, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. Oktober 2013, S. 710 ff.; Ernst Niemeier/Ludwig Gramlich: (Wiederkehrende) Stra- ßenausbaubeiträge: Karlsruhe hat entschieden, aber ist damit alles in Ordnung? In: KommJur 2/2015, S. 41 ff.; Ernst Niemeier: Ökonomieferne Verwaltungsrechtsprechung im öffentlichen Abgabenrecht beschädigt den Rechtsstaat, in: der gemeindehaushalt 118. Jg., 1/2017, S. 12 ff.; Ernst Niemeier: Straßenausbaubeiträge aus Sicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – Gibt es die unterstellten Sondervorteile für Grundstückseigentümer wirklich? -, in: Bayerische Verwaltungsblätter, 149. Jg., 7/2018, S. 229 ff.
Quelle: PUBLICUS