Ein Blick zurück
Im 16. Jahrhundert bereitete die Erfindung des Buchdrucks den Weg für die Reformation, die wissenschaftliche Revolution und die Aufklärung. Im 19. Jahrhundert begann mit der Dampfmaschine und der Industrialisierung die Entwicklung der modernen Gesellschaft. Die Digitalisierung führt uns wieder an eine Zeitenwende. Sie wird als „Dritte Industrielle Revolution“, als „Informationsgesellschaft“ oder als „Zweites Maschinenzeitalter“ bezeichnet. Manche sprechen bereits von der Metamoderne.
Wohin führen die mit der Digitalisierung einhergehenden Konsequenzen, die tiefgreifender sind als nur neue Apps, Plattformen oder selbstfahrende Autos? Hierarchien lösen sich auf und werden durch wesentlich dezentralere Organisationsformen und Formen der Selbstorganisation abgelöst. Cloud-basierte Dienste ermöglichen eine vollkommen neue Form der Zusammenarbeit und des Austauschs über Grenzen hinweg. Jeder kann etwas gemeinsam mit allen für alle entwickeln, wie das Flaggschiff Wikipedia es bereits seit Jahren erfolgreich zeigt. Alles ist in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess und jeder neue Entwicklungsstand ist morgen schon veraltet.
Wir leben unaufhörlich in einem Beta- Modus, in dem sich alles verflüssigt. In Echtzeit stehen wir ständig miteinander in Kontakt und greifen auf Informationen oder auch Musik sofort zu. Wir haben Zugang statt Besitz, da tendenziell gegen Null gehende Vervielfältigungskosten offenen Zugang ermöglichen. Bezahlung wird durch open access abgelöst. Was digital ist, wird gemessen. Datenanalysen beschneiden unser privates Selbst und ermöglichen zugleich eine neue Sicht auf Muster, Korrelationen und Zusammenhänge. Machine Learning und Künstliche Intelligenz sind nach Kevin Kelly wie die neue Elektrizität. Jeder Schritt wird ein Stück weit „kognifiziert“ werden. Alle diese Entwicklungen schließen uns einen globalen Raum auf, den wir mit Bewusstsein füllen müssen. Juristen schienen lange Zeit auf eine seltsame Weise unberührt von dieser Entwicklung. Unter dem Begriff Legal Tech hat sich ein Hype und zugleich eine Grundsatzdiskussion herausgebildet: Digitalisierung kommt mit Verzögerung auch im Recht an. Die ersten Reaktionen sind entweder Übertreibungen – morgen keine Anwälte mehr nötig – oder es wir abgewiegelt: haben wir schon, brauchen wir nicht und geht wieder weg. Schauen wir genau hin, zeichnet sich ein anderes Bild ab.
Digitalisierung des Rechts
Der Prozess der Digitalisierung befindet sich in allen Bereichen in einem sehr frühen Stadium. Die fundamentalen Umbrüche deuten sich erst an. Die Veränderungen, die sich derzeit für Juristen abzeichnen, sind allerdings schon tiefgreifend.
Standardisierung/Industrialisierung
Digitale Tools und damit Legal Tech ermöglichen die „Industrialisierung“ auch von Rechtsdienstleistungen. Juristen gehen selbstverständlich davon aus, dass jeder Fall anders ist. Das stimmt. Und zugleich enthalten die meisten Vorgänge wiederkehrende Elemente. Sie lassen sich damit standardisieren. Sprechen wir von der Industrialisierung des Rechts, bedeutet das Standardisierung auf hohem Niveau. Darauf aufbauend können Teile der repetitiven Elemente automatisiert werden. Diese Entwicklung wird sich in Richtung auf ‚Embedded Law‘, in unsere alltäglichen Vorgänge und Verwaltungs- oder Unternehmensprozesse eingebettetes, wirksames aber nicht sichtbares Recht bewegen. Ein Beispiel sind Verträge. Sie können aus vorgefertigten Qualitäts-Bausteinen mit Vertragsgeneratoren erzeugt werden. Entscheidend ist die Führung des Nutzers in diesen Generatoren. Möglich ist, das beste Expertenwissen in einer Weise abzubilden, dass auch ein wenig erfahrener Nutzer oder sogar ein Laie einen guten, rechtssicheren Vertrag entwerfen kann.
Industrialisiert werden kann auch der große Bereich der Abwicklung von Standardrechtsfällen. Darauf bauen neue Geschäftsmodelle, wie etwa die Durchsetzung der Rechte von Fluggästen (flightright. de) oder von Verkehrsteilnehmern (geblitzt.de). Verfahren gegen Fluggesellschaften, die eine Entschädigung für eine Verspätung nicht zahlen wollen, haben Streitwerte von wenigen hundert Euro und können im Einzelfall kompliziert sein. Wird ihre Bearbeitung in einer digitalen Schriftsatz-Fertigungsstraße industrialisiert, entstehen neue Möglichkeiten. Massenweise vorkommende Fälle, die einzeln kaum den Aufwand lohnen, werden industriell bearbeitet zur lohnenswerten Dienstleistung. Wir sehen, dass es sehr viele Fälle gibt, die in größeren Stückzahlen auftreten. Sie bleiben immer noch Fälle mit womöglich individuellen Besonderheiten. Dennoch enthalten sie überwiegend wiederkehrende und damit standardisierbare Elemente.
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